mundraub gegen den Klimawandel?


© Martin Fisch

Wir können mit Milchmädchen-Rechnungen nicht besonders viel anfangen. Aber dieses Zahlenspiel konnten wir uns nicht verkneifen. Wieviel CO2 spart der gemäßigte mundraub von Obst? Etwas zu kurz gegriffen, aber nicht ganz an den Haaren herbeigezogen.

Besser als sein Ruf: CO2

Klimawandel und Treibhauseffekt - die Schlagworte der Jahrtausendwende haben einer chemischen Verbindung zu größter Bekanntheit verholfen: dem CO2, Kohlenstoffdioxid.

Der Grundstoff unserer Zivilisationsgeschichte

Beinahe alle Waren unserer westlichen Zivilisation beruhen in Produktion und Distribution auf direkte oder indirekte Weise auf Verbrennung oder Umwandlung fossiler Energieträger. Mobilität, Energieversorgung, Industrie, selbst sogenannte Nawaros, nachwachsende Rohstoffe, die Errungenschaften des Industriezeitalters und jüngster Technologiegeschichte basieren auf Erdöl und Kohle, dem Vebrauch und der Freisetzung wertvoller Kohlenstoffketten.

Der Prozess der Lösung und Bindung von Kohlendioxid ist dabei kein unnatürlicher. Pflanzen benötigen die Verbindung zur Herstellung von Glucose und dem für uns lebensnotwendigen Abfallprodukt der Photosynthese: Sauerstoff. Sie sind es auch, die gemeinsam mit anderen Kleinstlebewesen aus dem Gas Biomasse und Kalkgestein herstellen und einlagern. Seit Urzeiten sind Kohlenstoffverbindungen Teil des Sonnensystems.

Die Klimaerwärmung

Unnatürlich ist hingegen die Geschwindigkeit, in der über Jahrmillionen eingelagerter Kohlenstoff abgebaut und verbrannt und erneut als Gas an die Umwelt abgegeben wird. Dass das essenzielle Endprodukt unserer Produktions- und Warenströme in seiner erhöhten Konzentration in der Atmosphäre zu einem globalen Temperaturanstieg führt, ist inzwischen kaum noch umstritten. Ebenso deutlich sind die Folgen, die wandernde Klimazonen und schmelzende Gletscher für Natur, Umwelt und Mensch haben. Kaum zu überschauen ist, welches Ausmaß die Schädigung eines fragilen Geo-, Bio- und Öko-Systems in Zukunft annehmen wird.

Mit Bio-Obst zum grünen Gewissen?

Fernab der offensichtlichen CO2-Emittenten, der Energieversorgung, Automobil- und Luft- und Raumfahrtindustrie, haben wir täglich Umgang mit einem anderen Gut, das einen bedeutenden Teil unserer Lebensqualität ausmacht und mehr Klimafallen versteckt, als sein grüner Ruf vermuten lässt: Frische Nahrungsmittel auf ihrem Weg in unsere Haushalte.

Die Wenigsten Menschen in unserem Lebensumfeld müssen an Fließbändern oder auf Äckern arbeiten. Gleichzeitig sind die meisten Güter für uns jederzeit verfügbar. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich unser Gemüse- und Obstkonsum beinahe verdoppelt. Grund dafür sind neben einem gesteigerten Bewusstsein für gesunde Ernährung, der unproblematische Zugriff und die einfachen Lagermöglichkeiten. Dass alle Variablen nicht unabhängig von sozialer Schicht, Bildungs- und Einkommensverhältnissen sind, kann hier nicht weiter diskutiert werden. Hier soll es um die oft wenig glanzvolle Beschaffungsgeschichte unserer Supermarktvorräte gehen.

Die selbstbewusste Konsumentin

Stellen wir uns einmal eine der gern heraufbeschworenen selbstbewussten Konsumentinnen des 21. Jahrhunderts vor, für die Nachhaltigkeit und ökologisches Bewusstsein, Umweltschutz und saisonale Lebensmittelversorgung keine Fremdworte sind. Sie liebt die körperliche Betätigung im Freien, gutes Essen, Low-Budget-Eco-Reisen und besitzt ein Auto nur, weil es von ihren Eltern vermacht, ein praktisches Notfallgefährt ist.

Mit kleinen Ausrutschern kommt auf den Tisch, was vegan, verpackungsarm, frisch und gesund ist. Mit 2 Kindern übersteigen die Wocheneinkäufe schon mal das Volumen ihrer Fahrradtaschen. Auch wenn der Bio Supermarkt nur 2 Kilometer entfernt ist - Samstags wird das Auto bewegt und vollgeladen, denn unter der Woche ist für die meisten Besorgungen einfach keine Zeit.

Nicht nur für die Kleinsten in der Familie sind Vitamine das Wichtigste. Die Familie liebt Obst. Es ist Apfelzeit. Also ab zum knackigen Rund. Bio muss es sein. 2 Kilo die Woche sind drin. 2,49€ für feinstes Obst...aus Argentinien. 5€ für den fruchtigen Schmaus für Schultasche und Büropause. In den verschnupften Herbstmonaten kann schon mal die doppelte Menge zusammenkommen. Ein Schnäppchen für das, was da an guter Laune und gesunder Ernährung drin steckt.

Die CO2-Bilanz des Supermarkt-Obstes

Und die CO2-Bilanz? Nehmen wir einmal an, der argentinische Bio-Apfel schlägt mit einer CO2-Bilanz von 163 Gramm das Kilo zu Buche. Das Auto ist nicht mehr das Neueste, hier kommen pro Kilometer 300 Gramm hinzu. Insgesamt kommen wir so auf über 1500 Gramm CO2 für die Wochenration Knackfrisch aus Übersee.
Nehmen wir nun weiterhin an, dass unsere bewusste Konsumentin nicht länger als drei Monate im Jahr Äpfel einkauft, kommen wir auf grobe 12 Einkäufe á 1500 Gramm, also 18000 Gramm CO2 - 18kg.

Und wielange muss die Natur arbeiten, um diese Menge CO2 zu binden? Glauben wir einer Rechnung des Handelsblattes aus dem Jahr 2009, schafft es eine normal gewachsene Buche, die 23 Meter Höhe erreicht, in unseren Breiten in 80 Jahren Wachstum die überwältigende Zahl von einer Tonne CO2 binden. Das macht im Schnitt 12,5 Kilo pro Jahr - eine Bindungskapazität, die den Verbrauch unserer öko-bewussten Familie unterschreitet (und hier sind lediglich die Äpfel einberechnet).

Und was hat das mit mundraub zu tun?

Natürlich ist auch der Betrieb und die Nutzung des Internets mit dem Verbrauch fossiler Rohstoffe und der Produktion von Kohlenstoffdioxid verbunden. Dennoch dürfte die Bilanz für 'kieken, radeln, pflücken, radeln, futtern' bedeutend besser ausfallen. Wenn jetzt die wöchentlichen Ausflüge auch noch der Gesundheit und dem Bewusstsein für heimischen Obstbestand, Pflanzenerhalt, Neupflanzung und Bestandspflege zu Gute kommen - stark.

Es ist Herbst. Geht vor die Tür und grippeschützt euch mit Bewegung, frischer Luft und Leckerem und Ungespritzten in direkter Nachbarschaft! Schaut auf unserer Map nach Fundorten in eurer Umgebung oder tragt selbst Orte mit Obst, Gemüse und Kräutern ein. Vergesst nicht, sicher zu stellen, dass es sich nicht um Privatgrund handelt oder holt die Erlaubnis der Eigentümer*innen ein und sammelt nur soviel ihr wirklich benötigt. Teilen ist besser als kaufen!

Sammeln statt vergammeln. Auf einen schönen Herbst.

Eure mundraub-Bande

Hinter unserer Seite stecken viele Arbeitsstunden und jede Menge Herzblut. Es ist an der Zeit, dass Büro, Server, Seitenbetreuung und Projektentwicklung finanziell tragbar werden. Darum haben wir begonnen, für unsere Blog-Beiträge Unterstützer*innen zu suchen. Wir bemühen uns um unabhängige redaktionelle Arbeit, Spenden und Inhalt der Einträge sind nicht aneinander gebunden. Für diesen Beitrag danken wir ganz herzlich Jürgen Albrecht und der Fahrradpraxis, die seit 2005 in direkter Nachbarschaft in der Karl-Kunger Straße besteht und uns mit 200€ unter die Arme greift.

Übrigens: Viele Äpfel, die in eurer Umgebung wachsen können euch als Lageräpfel bis in den April begleiten. Unter den wenigen Supermarkt-Sorten sind nur noch der Boskoop und Cox Orange vertreten. Beinahe 2000 Apfelsorten finden sich auf deutschlandweit - Tendenz schwindend.

"In früheren Zeiten (vor einer permanenten Versorgung mit Obst aus Supermärkten) waren die lange lagerbaren Winteräpfel eine der wichtigsten Quellen für die Versorgung mit Obst. Typische Winterapfelsorten sind neben dem oben erwähnten Eiserapfel der Borsdorfer Apfel, Finkenwerder Herbstprinz,Glockenapfel, Gloster, Ontarioapfel, Rheinischer Bohnapfel und Altländer Pfannkuchenapfel, weiters Berlepsch, Cox Orange, Rote Sternrenette, Schöner von Boskoop und Weißer Winter-Calville (wegen des Geschmacks auch Erdbeer- oder Paradiesapfel genannt). Daneben gibt es noch viele weitere Sorten, die zum Teil nur regional verbreitet sind (sogenannte Lokalsorten, zum Beispiel Roter Pariner)." (wikipedia)