Lady Williams Christ im Interview

Dass mundraub alte Obstsorten interviewt, hat sich offenbar herumgesprochen: Nach dem Interview vor gut zwei Wochen folgen weitere Obstsorten dem Beispiel des Herrn Baron Freiherr von Berlepsch und wagen sich auf mundraubs heißen Stuhl. Heute begrüßen wir einen ganz besonderen Gast aus der American Horticultural Society.

mundraub: Wir freuen uns sehr, dass Sie es einrichten konnten Lady Williams Christ.
Lady Williams Christ: Aber die Freude ist doch ganz meinerseits!

mundraub: Milday, Sie haben eine wahrhaft erstaunliche Karriere hingelegt und sind in jungen Jahren viel herumgekommen. Erzählen Sie uns davon!
Lady Williams Christ: Ach jetzt schmeicheln Sie mir aber. Für eine kleine englische Apothekerbirne wie mich war es natürlich eine Ehre 1848 unter dem Namen „Bartlett“ in den Katalog der American Horticultural Society aufzusteigen. Aber das geschah erst gegen Ende meiner Karriere und ich würde es auch nicht ausschließlich als meinen eigenen Verdienst betrachten. Vieles davon ist auch glücklichen Zufällen geschuldet.

mundraub: Sie kommen ursprünglich aus England, richtig?
Lady Williams Christ: So ist es. Wie gesagt, meine Verbreitung in den Vereinigten Staaten und mein Aufstieg als Society-Lady erfolgten erst verhältnismäßig spät.

mundraub: Wie sind Sie aufgewachsen?
Lady Williams Christ: Ich wurde irgendwann in den 1760er Jahren als Zufallssämling in England geboren und dann, es müsste das Jahr 1770 gewesen sein, im Garten des Lehrers Star in Aldermaston, Berkshire entdeckt. Später übernahm mich der Baumschulbesitzer Williams aus Burnham Green, Middlesex. Er war es auch, der mich unter dem Namen „Williams Bon Chrétien“ verbreitete. 

mundraub: War „Williams Bon Chrétien“ auch der Name mit dem Sie Ende des 18. Jahrhunderts als junge Birne in die USA einreisten?
Lady Williams Christ: Korrekt. Ein Herr mit dem Namen James Carter war so freundlich, mich auf meiner Überfahrt zu begleiten. Er sorgte auch dafür, dass ich dort zunächst in Massachusetts, und zwar auf den Ländereien eines gewissen Thomas Brewers unterkommen konnte.

mundraub: Und weil ihr französischer Name für die Amerikaner so schwierig auszusprechen war, hat man Ihnen kurzerhand einen neuen verpasst?
Lady Williams Christ: So weit würde ich nicht gehen. Ich vermute eher, dass es schlicht und ergreifend aus Unkenntnis heraus geschah. Überlegen Sie mal, als mir Herr Enoch Bartlett 1817 ganz unbescheiden seinen Namen aufdrückte, lebte ich ja schon fast zwei Jahrzehnte in den Vereinigten Staaten und da er ein sehr schweigsamer Mann war und wir kaum ein Wort miteinander wechselten, wusste er wahrscheinlich weder wie ich heiße, noch wo ich herkomme. Deswegen nahm er einfach an, dass ich seine Schöpfung sei und er mir seinen Namen geben könne.

mundraub: In den Vereinigten Staaten sind Sie dann richtig aufgeblüht und haben eine Vielzahl von Mutanten um sich geschart.
Lady Williams Christ: Stimmt. Als ich in Amerika ankam, war ich erstmal ziemlich allein. 1942 bekam ich dann meine erste amerikanische Mutante, den „Nye Russet Bartlett“. Im selben Jahr kam auch noch „Eller“ dazu. Sie reift ganze vier bis fünf Wochen vor mir. Drei Jahre später, 1945 also, folgte dann eine rundum violettrot- bis rotgefärbte Mutante mit bräunlichem Strich. Äußerlich ist sie wirklich eine Pracht, aber geschmacklich leider nicht sehr überzeugend.
Weitere Mutanten von mir sind der „Rosired Bartlett“, Geburtsjahr 1948, der „Stewart Bartlett“, Jahrgang 1952, und schließlich die „Gestreifte Williams“, deren Birnen eine chimärenartig gelbe und rötliche Färbung aufweisen.

mundraub: Eine stolze Anzahl!
Lady Williams Christ: Danke. Ich habe noch zwei weitere Kinder, die allerdings beide im Ausland leben. Meine Älteste, die Mutante „Russet Bartlett“ lebt seit 1908 in Kanada. Und dann ist da noch die Mutante „Sensation Red Bartlett“, die seit 1940 in Australien lebt.

mundraub: Sie haben wirklich eine weitverzweigte Familie, deren Mitglieder sich in unterschiedlichen Teilen der Erde zuhause fühlen. Aber sicher haben Sie dennoch eine Vorstellung davon, welche Standorte Ihnen mehr, und welche Ihnen weniger zusagen?
Lady Williams Christ: Natürlich! Jede Obstsorte hat gewisse Vorlieben und Ansprüche, was Ihren Standort anbelangt. Auch ich. Obwohl ich standörtlich ziemlich anpassungsfähig bin, erziele ich die besten Leistungen, wenn man mir tiefgründige, humose und ausreichend frische Böden zur Verfügung stellt und dabei auf ein warmes Klima achtet. Dank meiner frühen Reife ist mein Wärmeanspruch zwar eher niedrig, das bedeutet jedoch nicht, dass mir warmes Klima nicht lieber wäre! Starke Winterfröste kann ich überhaupt nicht gut haben, da reagiere ich mit Teil- bis Totalausfällen.

mundraub: Wie verhält es sich mit Ihrer Verbreitung, Milady?
Lady Williams Christ: Mit Ausnahme von den Niederlanden findet man mich in allen nicht zu kühlen Obstbaugebieten Europas. Einer Schätzung zufolge lag meine jährliche Erntemenge innerhalb der EU Anfang der 1990er Jahre bei 325.000 Tonnen, wobei 40.000 Tonnen davon auf meine rotfruchtige Mutante „Max-Red Bartlett“ entfallen. Am meisten werde ich in Italien angebaut. Hier produziert die Provinz Emilia Romagna allein jährlich über 200.000 Tonnen meiner Früchte. Zumindest war es zu Beginn der 1990er Jahre noch so. Frankreich produzierte damals rund 110.000 Tonnen, die Schweiz brachte es auf 12.500 Tonnen und auch Griechenland kam auf 12.500 Tonnen.

mundraub: Und Deutschland?
Lady Williams Christ: Wie gesagt, meine Zahlen sind nicht mehr auf dem aktuellsten Stand, aber zu Beginn der 1990er Jahre lag meine Anbaufläche in Deutschland mit Schwerpunkten im Rheinland, der Niederelbe, dem Bodenseegebiet und dem Neckarland bei rund 50 Hektar. Zudem wurde mir im Anton-Saefkow-Park in Berlin-Pankow im Rahmen von Mundraubs Nachwuchs-Projekt im Dezember letzten Jahres ein Enkelkind gepflanzt. So ein süßer Fratz!

mundraub: Wann beginnt bei Ihnen die Blüh- und Erntezeit?
Lady William Christ: Ich blühe von April bis Mai. Je nach Wärmeklima sind meine Früchte von Ende August bis Ende September pflückreif, wobei ich empfehle die Früchte dann zu pflücken, wenn sie noch eine grünliche Grundfarbe besitzen. Sie sind nur wenige Tage bis zwei Wochen genussreif. Wenn sie im grünlichen Zustand bei einer Temperatur zwischen 0 bis -1 °C gekühlt werden, sind sie bis zu drei Monate lagerfähig.

mundraub: Was schätzt man besonders an Ihnen?
Lady Williams Christ: Unter den späten Sommerbirnen nehme ich dank meiner Fruchtqualität, meiner Fruchtbarkeit, meiner vielseitigen Verwendbarkeit und nicht zuletzt wegen meiner standörtlichen Anpassungsfähigkeit in den Kategorien Erwerbsobstbau, Liebhaberobstbau und Baumformen den ersten Platz ein. Außerdem eignet sich mein Fruchtfleisch ganz hervorragend zum Einmachen und für Branntweine.
Eine weitere meiner Stärken liegt darin, dass ich nur selten eine Fruchtausdünnung brauche. Da, wo andere Obstbäume auf die Hilfe des Menschen angewiesen sind, bin ich vollkommen autark. Ich brauche niemanden, der mir hilft meinen Behang zu regulieren. Das mache ich ganz alleine und ich muss zugeben, diese Unabhängigkeit ist mir ein hohes Gut!

mundraub: Wirklich beeindruckend, Milady. Wären Sie so nett uns zum Schluss noch eine letzte Frage zm Geschmack Ihre Früchte zu geben?
Lady Williams Christ: Aber selbstverständlich! Das gelblichweiße Fleisch meiner Früchte ist am Rand grünlich, vollreif zart und sehr saftig. Es schmeckt süßlich würzig und besitzt ein eigenes, edles Aroma.

mundraub: Lady Williams Christ, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Gestatten, Lady Williams Christ?

Quelle:
Silbereisen, Götz, Hartmann (2014): „Williams“, in: Obstsortenatlas. Kernobst, Steinobst, Beerenobst, Schalenobst, Nikol Verlag, Hamburg: S. 215- 218.

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Danke, Peter! :-)Fruchtige Grüße aus Berlin,

Merle

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Eine wunderbare und schöne Idee, eine Apfelsorte in einem Interview selbst zu Wort kommen zu lassen !!

.Alles in diesem Interview erscheint mir sehr gelungen: sehr gute offene Fragen, gute Formulierungen, phantasiereiche und bildreiche Antworten,  das ganze Interview ist "frisch" geschrieben . . . es ist einfach ein Genuss, dies alles zu lesen !

Herzlichen Dank !

Peter Obermeier