Freiherr von Berlepsch im Interview

mundraub beginnt das Jahr 2018 mit der Einführung einer neuen Themenreihe. Von nun werden wir in regelmäßigen Abständen eine alte Obstsorte einladen und ihre zarte Schale mit allerlei Fragen löchern. Heute zu Gast im Studio: die Sorte "Goldrenette Freiherr von Berlepsch".

mundraub: Guten Tag, Herr Baron. Habe ich Sie standesgemäß betitelt?
Berlepsch: Ja und nein. Mit dem "Baron" liegen Sie nicht ganz falsch. Man kennt mich tatsächlich unter dem Namen "Baron von Berlepsch". Gleichzeitig nennt man mich jedoch auch "Freiherr von Berlepsch" oder, wenn es ein bisschen mehr nach französischem Adel klingen soll, auch gerne mal "Reinette dorée de Berlepsch".

mundraub: Erzählen Sie uns etwas über sich.
Berlepsch: Nun ja, ich verdanke meine Existenz einem gewissen Herrn Uhlhorn junior, welcher mich um das Jahr 1880 herum in dem schönen, am Niederrhein in Nordrhein-Westfalen gelegenen Städtchen Grevenbroich aus Sämlingen der Kreuzung "Ananasrenette" und "Ringston Pepping" erschuf. Dieser Mann muss den damaligen Regierungspräsidenten in Düsseldorf sehr geschätzt haben, denn nach ihm wurde ich benannt.

mundraub: Verstehe. Aber abgesehen von dem Namen haben Sie mit dem Herrn Berlepsch weiter nichts gemein?
Berlepsch: Nein, eigentlich verbindet uns nichts. Außer vielleicht die immer mal wieder rote Farbe…

mundraub: Das müssen Sie erklären.
Berlepsch: Wie Sie vielleicht wissen, gibt es mich sowohl in gelber als auch in roter Farbe. Letztere ist eine Mutante von mir, die auch unter dem Namen "Roter Berlepsch" bekannt ist… Böse Zungen behaupten, dass mein Namensgeber aufgrund seiner Schüchternheit schnell errötete und ich deshalb nach ihm benannt wurde.

mundraub: Aber Ihre teils rote Farbe hat wohl kaum etwas mit Schüchternheit zu tun.
Berlepsch: Da haben Sie Recht. Während meinem Namensvetter die rote Gesichtsfarbe wahrscheinlich sehr unangenehm war, wird die rotgefärbte Variante von mir bei Züchtern sogar bevorzugt, da sie im Vergleich zum "Gelben Berlepsch" zwar etwas schwächer wächst, insgesamt aber fruchtbarer ist.

mundraub: Sie gehören zu den alten deutschen Apfelsorten. Wo in Deutschland findet man Sie heute noch?
Berlepsch: Erwerbsmäßig werde ich ausschließlich im Rheinland angebaut, wo meine Erntemenge bei ca. 2000 bis 3000 Tonnen im Jahr liegt. Darüber hinaus findet man mich, insbesondere im südwestlichen Raum, auch in kleineren Stückzahlen. Im Berliner Anton-Saefkow-Park wurden darüber hinaus im Rahmen des mundraub-Projektes "Nachwuchs" drei kleine Goldrenetten von Berlepsch gepflanzt. Diese Enkelkinder sind mein ganzer Stolz!

mundraub: Welche Ansprüche haben Sie an Ihren Standort, Herr Berlepsch?
Berlepsch: Trotz meiner adeligen Abstimmung bin ich stets ein bescheidener Apfel geblieben. Meine Wärmeanforderungen sind vergleichsweise niedrig. Um beste Geschmacksqualitäten zu erzielen, bin ich einzig darauf angewiesen, dass es im September sonnig und warm ist. Was den Untergrund angeht, bevorzuge ich frische Böden. Da besonders nährstoffreiche Böden mein vegetatives Wachstum fördern und dies auf Kosten meiner Blühwilligkeit geht, ziehen Obstbauern es vor, mich auf mäßig frischen Böden zu pflanzen. Wachsen kann ich aber auf beiden.

mundraub: Was passiert, wenn man Ihre Standortanforderungen ignoriert?
Berlepsch: Hören Sie, ich bin ein sehr geduldiger und friedliebender Apfel, aber wenn meine Bedürfnisse missachtet werden, muss ich natürlich reagieren. Je trockener der Boden, in den man mich pflanzt, desto höher das Risiko, dass ich meine Früchte vorzeitig abwerfe. Böden mit unausgeglichenem Wasser-Luft-Haushalt machen mir besonders zu schaffen. Ein solcher Untergrund beeinträchtigt nicht nur die Leistung meiner Blätter, sondern auch das Wachstum meiner Triebe. Zudem erhöht sich für mich das Risiko, an Obstbaumkrebs zu erkranken.

mundraub: Verraten Sie uns Ihre Blüte- und Erntezeit?
Berlepsch: Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen. Meine Blütezeit währt von Mitte April bis Mitte Mai und je nach Wärmeklima bin ich von Mitte September bis Mitte Oktober pflückreif. Im Frischluftlager bleiben die Geschmacksqualitäten meiner Früchte bis Dezember, im Kühllager bei einer Temperatur zwischen 0 und -2 °C sogar bis Februar erhalten. Bei aller Bescheidenheit möchte ich noch anmerken, dass mein festes, gelblich-weißes Fruchtfleisch für seinen saftigen, erfrischenden und würzig-herben Geschmack sehr geschätzt wird. Und auch der Vitamingehalt meiner Äpfel kann sich sehen lassen: Mit 23,5 Milligramm je 100 Gramm gehöre ich zur Gruppe der zehn Apfelsorten mit den höchsten Vitamin-C-Anteilen.

mundraub: Unseren Respekt, Herr Baron. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Berlepsch: Ich habe keinerlei Ambitionen von der konventionellen Landwirtschaft "entdeckt" und dann groß vermarktet zu werden. Aus dem Alter bin ich raus. Meine Wünsche und Träume sind mit den Jahren sehr viel bodenständiger und bescheidener geworden. So würde ich mir beispielsweise wünschen, dass mich mehr Menschen in meiner Besonderheit wahr nähmen, mich kennen und schätzen lernten und sie vielleicht Lust bekämen mir noch weiteren Nachwuchs zu bescheren.

mundraub: Herr Berlepsch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Die alte Apfelsorte "Goldrenette Freiherr von Berlepsch"

Quelle:
Silbereisen, Götz, Hartmann (2014): „Berlepsch“, in: Obstsortenatlas. Kernobst, Steinobst, Beerenobst, Schalenobst, Nikol Verlag, Hamburg: S. 28-31.

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Danke für deinen Kommentar und dein Interesse an dem Herrn Baron von Berlepsch, Katzie. Du hast recht, über die schillernde Persönlichkeit des Barons, über seine Standortvorlieben sowie über seine Blüte- und Erntezeiten gibt es noch sehr viel mehr zu berichten. Auf deine Anregung hin habe ich den Herrn Berlepsch ein zweites Mal eingeladen und ihn noch etwas weiter ausgequetscht. Viel Spaß beim Lesen! 

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Interessant wäre auch, welche Standorte der Berlepsch bevorzugt und seine Blüte- bzw Erntezeit... ?