Mister Ontario im Interview


Der Baron Freiherr von Berlepsch machte im Februar den Anfang. Ihm folgte die entzückende Lady Williams Christ. Wir freuen uns euch heute, pünktlich zum internationalen Tag des Baumes, einen weiteren Studiogast vorstellen zu dürfen. Bitte begrüßt mit mir den einzig wahren… Mister Ontario!

Mister Ontario im Interview

 

Mister Ontario: Vielen Dank, sehr freundlich, Dankeschön!

mundraub: Herzlich Willkommen im mundraub-Hauptstadtstudio, Herr Ontario. Haben Sie gut hergefunden?

Mister Ontario: Aber ich bitte Sie, selbstverständlich! Immerhin bin ich Nachkomme eines namhaften Spions.

mundraub: Ach, tatsächlich?

Mister Ontario: Natürlich. Mein Vater gehörte der Sorte „Northern Spy“ an. Für seine exzellenten Spionagetätigkeiten war er international bekannt. Seine Spezialität waren Lauschangriffe auf staatliche Institutionen. Um so etwas zu machen, benötigt man eine extrem gute Ortskenntnis. Seit ich denken kann, sammelte mein Vater Landkarten und Stadtpläne, die im Laufe seines langen Lebens zu einem wahren Berg anwuchsen und am Ende ganze Kellerräume füllten. Nach seinem Tod ist dann ein Gutteil dieser Karten in meinen Besitz übergegangen.

mundraub: Unter diesen Umständen ziehe ich meine Frage zurück. Ich wollte nur etwas Small Talk betreiben…

Mister Ontario: Nichts für Ungut. Wenn Sie schon alles über mich und meine Abstammungsgeschichte wüssten, hätten Sie mich ja nicht eingeladen. Mütterlicherseits stamme ich übrigens vom „Wagenerapfel“ ab. Ich wurde als Sämling um das Jahr 1870 herum geboren. Schweizer Angaben zufolge war 1874 mein Geburtsjahr. Ein gewisser Charles Arnold aus Paris hat mich damals ausgelesen.

mundraub: Ihr Name lässt vermuten, dass Sie kanadischer Abstammung sind.

Mister Ontario: Haha, ja der Name Ontario hat für einiges an Verwirrung gesorgt. Erst vor Kurzem erreichten mich Hinweise aus den USA, dass sich die geographische, beziehungsweise die politische Angabe „Ontario“ nicht, wie lange angenommen, auf die kanadische Provinz bezieht, sondern auf den US-amerikanischen Verwaltungsbezirk „Ontario County“. Geographisch macht es allerdings keinen allzu großen Unterschied: Der Verwaltungsbezirk Ontario County im Bundesstaat New York grenzt ja im Norden an die gleichnamige kanadische Provinz Ontario.

mundraub: Aber für Sie persönlich macht es doch einen Unterschied! Immerhin sind Sie so quasi über Nacht zum Amerikaner geworden. Welchem Land fühlen Sie sich zugehörig?

Mister Ontario: Nun ja, ich denke es ist bei vielen Obstsorten so, dass sie sich dort zuhause fühlen, wo es am meisten von ihnen gibt, also wo sie die besten Voraussetzungen für gutes Wachstum und Fruchtbarkeit haben und die Menschen sie schätzen, anbauen, pflegen und verbreiten. Ich bin da keine Ausnahme. Mein Herz schlägt daher weder für die USA, noch für Kanada, sondern, ob Sie es glauben oder nicht, für West- und Mitteleuropa.

mundraub: Sie überraschen mich immer wieder. Was gefällt Ihnen an Europa?

Mister Ontario: Das gemäßigte Klima. Ich bevorzuge warmes bis mittelmäßig warme Klimazonen. In heißen und zu Trockenheit neigenden Klimaten steigt für mich das Risiko an Mehltau zu erkranken erheblich an. Aber zu kalt darf es auch nicht sein. In kühlen Klimaten oder Höhenlagen ist es mir unmöglich meine geschmackliche Qualität zu entfalten.

mundraub: Würden Sie sich als einen sensiblen Apfel bezeichnen?

Mister Ontario: Nein, das wäre zu verkürzt. Jeder hat doch Stärken und Schwächen. Das gilt für euch Menschen genauso wie für uns Obstsorten. Meine große Stärke liegt in der Frosthärte meiner Blüte. Es ist keine andere Kultursorte bekannt, die durch Spätfrost so wenig Ausfälle erleidet wie ich. Das bedeutet aber nicht, dass ich generell kälteresistent bin. Meine Äpfel sind winterfest, aber mein Holz ist, was extreme Wintertemperaturen anbelangt, äußerst empfindlich. Der starke Polarwinter von 1984/85 machte mir daher stark zu schaffen. Große Teil- und Totalschäden waren die Folge. Sie sehen also, Kälte ist nicht gleich Kälte und alles hat zwei Seiten. Aufgrund dieser meiner Holzempfindlichkeit bin ich für Menschen, die einen bestandssicheren Obstbaum suchen, nicht zu empfehlen.

mundraub: Wo findet man Sie heute noch?

Mister Ontario: Heute findet mich in älteren europäischen Hochstammanlagen und Hausgärten und sehr vereinzelt auch auf dem nordamerikanischen Kontinent. Gartenfreunde schätzen mich, weil der Pflegeaufwand für mich äußerst gering ausfällt. Und dann sind da natürlich meine fast jährlich einsetzende Blühwilligkeit und mein unproblematischer Wuchs, die mir zusätzliche Sympathiepunkte einbringen. Ganz zu schweigen von dem hohen Vitamin-C-Gehalt meiner Früchte, dessen vielseitiger Verwendbarkeit als Tafel-, Koch- und Backäpfel und ihrer sehr guten Haltbarkeit.

mundraub: Mit anderen Worten: Sie sind der Traum des faulen Gärtners. Erzählen Sie uns doch etwas mehr über Ihre Früchte.

Mister Ontario: Gern. Mmmm…Wie lassen sich meine Früchte am besten beschreiben? Ich würde sagen, dass sie sich durch ihre Größe und die flach-breite, mittelbauchige Form auszeichnen. Mitunter sind sie etwas schief, aber ansonsten wohlgeformt. Vom Kelch bis zur Stielgrube sind sie gleichmäßig markant gerippt bis grobkantig. Aufgrund der Farbenvielfalt meiner Früchte bezeichne ich mich selbst gerne als Regenbogenapfel. Die Farbpalette reicht von grün bis grünlich-gelb über gelb und ein Drittel bis zwei Drittel sind geflammt oder verwaschen bläulichrot bis orangerot und meist beduftet.

mundraub: Beduftet?

Mister Ontario: Unter „Beduftung“ versteht man eine von der Fruchthaut gebildete, weißliche Wachsschicht, die der Frucht ein glänzendes Äußeres verleiht. So mancher vom Menschen gewachster Supermarktapfel beneidet mich um dieses natürliche Make-Up.

mundraub: Verständlich! Und was verbirgt sich unter dem Make-Up?

Mister Ontario: Abgesehen von dem wachsigen Film ist meine Schale glatt, hart, derb und löst sich häufig ab. Darunter trage ich ein grünlich-weißes bis cremefarbenes Fruchtfleisch. Dieses ist sehr saftig, feinzellig, weich, kurzabbrechend und weitgehend frei von Stippigkeit und sonstiger Mängel.

mundraub: Und wie schmecken die Früchte?

Mister Ontario: Da treffen Sie gewissermaßen einen etwas wunden Punkt. Man sagt mir nach, dass ich abgesehen von meinem feinsäuerlich-fruchtigen Geschmack nur wenig Aroma hätte. Und das gilt für die gut ausgebildeten Früchte. Unterentwickelte, also grüne Früchte haben einen wäßrig-säuerlichen Geschmack, weswegen die Menschen sie als wertlos einstufen.

mundraub: Nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen. Wer kann schon immer volle Leistung erbringen? Konzentrieren wir uns lieber auf den guten Teil der Ernte. Wie lagert man diesen und worauf muss man achten?

Mister Ontario: Sie haben ja recht, man kann nicht immer alle Früchte durchbringen. Bei der Ernte und Lagerung meiner Früchte ist Vorsicht geboten, da meine meist prallen Äpfel recht druckempfindlich sind. Die Lagerung sollte im Frischluft- oder Kühllager, aber auf keinen Fall unter 4 °C erfolgen, da sonst Kältefleischbräune auftreten kann.

mundraub: Und Ihre Pflück- und Genussreife?

Mister Ontario: Meine Pflückreife liegt bei Mitte bis Ende Oktober, in Höhenlagen mitunter auch bis Anfang November. Die Früchte aus dem Frischluftlager sind von Dezember bis März genussreif, die aus dem Kühllager bis Mai.

mundraub: Sie kippeln so ungeduldig auf Ihrem Stuhl, Mister Ontario. Gibt es noch etwas, das Sie loswerden möchten, bevor wir das Interview beenden?

Mister Ontario: Ja, ich hätte da tatsächlich auch noch ein kleines Anliegen: Nichts gegen den Internationalen Tag des Baumes, aber ist es nicht allerhöchste Zeit für einen Tag des Obstbaums?

mundraub: Dafür ist es allerdings höchste Zeit! An uns soll es nicht liegen, das können Sie uns glauben, Mister Ontario. Wir hoffen, dass es bald soweit sein wird und danken Ihnen für das Gespräch!

Quelle:
Silbereisen, Götz, Hartmann (2014): „Ontario“, in: Obstsortenatlas. Kernobst, Steinobst, Beerenobst, Schalenobst, Nikol Verlag, Hamburg: S. 147-149.

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Sooo kritisch war das gar nicht gemeint ...
Meinetwegen kann der "Tag der Birne" oder der "Tag des Omtarioapfels" gern stattfinden. Er ist allerdings bei toleranter Auslegung in 20 anderen Jubeltagen bereits enthalten.
Vielleicht sollte jede(r) eine ganz persönliche "Feiertagsliste" aus ihmihr sympathischen Anlässen zusammenstellen?
Manche wenig verbreitete Idee finde ich durchaus lustig wie den Pi-Tag zu Ehren der Kreiszahl im März. Entsprechend der amerikanischen Datumsschreibweise 3-14. Man feiert mit runden Kuchen.
Oder eben den erwähnten WNGD am übernächsten Samstag. Habe noch nie aktiv teilgenommen. Plant Mundraub dazu etwas?

Beste Grüße

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Danke für den kritischen Kommentar. Das stimmt wohl, am letzten Sonntag wurde z.B. erstmalig auch ein "Tag der Birne" ausgerufen. Wir lebenn in einer Aufmerksamkeitsökonomie und machen aus allem Events und Kampagnen. Durch die Omnipräsenz der sozialen Medien wird dies genährt und befeuert. Ich denke, es wird wie bei allem auch hier eine Bereinigung geben und nur die relevanten Tage werden sich langfristig durchsetzen. Es gewinnt der, der noch in der 12. Runde stehenbleibt.

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Wenn diese "(Internationalen) Tage des Rabimmelrabammelrabum" allzu inflationär kreiert werden, ist irgendwann die Aufmerksamkeit erschöpft. Meiner Meinung nach enthalten beispielsweise der "Tag des Baumes" und der "Tag der Allee" praktisch den Obstbaum, man kann auch Beziehungen zum "World Water Day" und zum "Europäischen Tag des Fahrrades" undundund finden. Bitte nicht vergessen, bald feiern wir den "World Naked Gardening Day".

Seit 2007 findet der noch recht unbekannte Tag des nackten Gärtnerns (WNGD) jährlich am ersten Maisamstag statt: "Our culture needs to move toward a healthy sense of both body acceptance and our relation to the natural environment." Die Gründer berufen sich auf Adam und Eva, Walt Whitman, Edna Millay, Alicia Silverstone, ...